Die Zwölf Stämme haben Deutschland verlassen

Source: augsburger-allgemeine.de

03. Januar 2017

Jahrelang lebte die Sekte auf Gut Klosterzimmern im Kreis Donau-Ries. Bereits 2015 kündigte sie an, ins Ausland ziehen zu wollen. Nun hat sie endgültig ihre Koffer gepackt.

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Das große Holzschild vor dem Eingang ist weg. Jahrelang hatte es die Besucher des Gutes Klosterzimmern (Landkreis Donau-Ries) begrüßt. Es zeigte den Schriftzug „Herzlich Willkommen“ und die farbenfrohe Darstellung eines Ackers, auf dem Männer, Frauen und Kinder gemeinsam arbeiteten. Es zeigte eine heile Welt. Die Zwölf Stämme, die seit 2000 in Klosterzimmern lebten, präsentierten sich nach außen gerne so wie auf dem Schild: Als friedliche Gemeinschaft, die alles miteinander erarbeitet und untereinander teilt.

Vor zwei Wochen hing die Holzplatte noch an ihrem alten Platz; die Farben waren etwas verblichen. Nun wurde das Schild abmontiert. Die Zwölf Stämme haben Klosterzimmern und Deutschland zum Jahreswechsel wohl endgültig verlassen. Es hatte sich abgezeichnet. Angekündigt hatte die Sekte den Schritt bereits im September 2015, viele Mitglieder der Gemeinschaft sind seither nach Tschechien gezogen. Ein Land, in dem sie ihren Glauben so ausleben können, wie sie es wollen, sagten sie damals. Ein Land auch, in dem es unter gewissen Umständen erlaubt ist, Kinder zu Hause zu unterrichten. Und in dem es Eltern nicht komplett verboten ist, sie körperlich zu bestrafen.

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Immer wieder Konflikte mit den Behörden

Vor allem wegen dieser beider Punkte waren die Zwölf Stämme mit den deutschen Behörden immer wieder in Konflikt geraten. Vor 15 Jahren eskalierte die Situation zum ersten Mal. Die urchristliche Gemeinschaft lehnt es ab, Kinder in öffentliche Schulen zu schicken, da dort Sexualkunde und Evolutionstheorie vermittelt werden. Im Oktober 2002 rückte die Polizei mit einem Großaufgebot an und nahm die schulpflichtigen Kinder mit, um sie zur Schule zu bringen. Die Bilder verstörten auch Menschen, die der Sekte ansonsten wenig Sympathie entgegenbringen: Weinende Kinder, die von Polizisten in Busse gezerrt wurden; Männer und Frauen der Zwölf Stämme, die von Beamten im Klammergriff gehalten wurden.

 

 

Wiederholt wurde die Aktion nie. Stattdessen erlaubten die Behörden der Sekte, auf dem Gut eine „Ergänzungsschule“ mit eigenen, staatlich geprüften Lehrern zu betreiben. Von da an blieb es um die Zwölf Stämme eine Zeit lang ruhig. Die Gemeinschaft wuchs auf 140 Mitglieder an, machte in Wörnitz einen weiteren Standort auf und eröffnete in Nördlingen ein Café, in dem sie Gerichte mit Zutaten aus eigenem Anbau verkaufte, was in der Region durchaus ankam.

2013 war es mit der Ruhe jedoch endgültig vorbei. Ein RTL-Reporter hatte sich in die Gemeinschaft eingeschleust und heimlich gefilmt, wie Mütter ihre Kinder mit Ruten schlugen. Wieder kam die Polizei. Zusammen mit Mitarbeitern des Jugendamtes nahmen sie alle Kinder mit, die sich in Klosterzimmern aufhielten – auch welche, die gar nicht zu den Zwölf Stämmen gehörten, sondern nur zu Besuch waren. Es folgten langwierige Sorgerechtsstreitigkeiten und diverse Strafverfahren gegen Mitglieder der Sekte, die erst ihre Filiale in Wörnitz aufgab und nun auch Klosterzimmern den Rücken gekehrt hat.

Landwirt aus Niederbayern ist nun Eigentümer

Neuer Eigentümer des weitläufigen Gutes ist ein Landwirt und Unternehmer aus Niederbayern. Er hatte den Zwölf Stämmen bereits vor Jahren einige Äcker abgekauft, 2016 erwarb er auch das Gut selbst, zu dem unter anderem Wohnhäuser, eine Mühle und eine Kirche gehören, die von der örtlichen evangelischen Gemeinde weiterhin genutzt wird. Klosterzimmern, ein ehemaliges Kloster der Zisterzienserinnen, ist eigentlich ein kleines, idyllisches Dorf. Es bietet jede Menge Platz.

Was aus dem Gut langfristig wird, ist jedoch unklar. Der neue Eigentümer bestätigt, dass die Zwölf Stämme zum Jahreswechsel ausgezogen seien und kündigt an, sich heuer auf Mietersuche begeben zu wollen.

Und die Gemeinschaft selbst? Unter ihren bisherigen Nummern in Deutschland ist sie nicht mehr zu erreichen; ein Mitglied sagt per Handy knapp: Man sei weg. Ruft man in einer Niederlassung der Zwölf Stämme in Tschechien an, um ehemalige Bewohner Klosterzimmerns zu sprechen, erklärt einem ein freundlicher Mann auf Englisch, heute passe es schlecht, man solle es morgen noch einmal probieren.

Ganz abgeschlossen ist die juristische Aufarbeitung um die Zwölf Stämme in Deutschland noch nicht. Das Landgericht Augsburg etwa wird zwei Verfahren um die Sekte neu verhandeln müssen. Es hatte gegen zwei Mitglieder jeweils Bewährungsstrafen wegen gefährlicher Körperverletzung verhängt, da diese Kinder mit Ruten geschlagen hatten. Das Oberlandesgericht München hat diese Urteile in der Revision jedoch kassiert. Aus einem Beschluss geht hervor, dass das Landgericht nicht ausreichend ermittelt habe, ob die Rute im Einzelfall tatsächlich geeignet sei, erhebliche Körperverletzungen hervorzurufen. Neue Prozesstermine stehen noch nicht fest.

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